Peter, 58 Jahre
Peter (Name geändert) kam zur Psychotherapie, nachdem sich ein naher Verwandter das Leben genommen hatte und dies der Auslöser für Sorgen und Ängste des Klienten gewesen war. Nicht nur, dass er sich selbst sehr verunsichert fühlte, sondern er hatte große Bedenken, dieses Trauma könnte sich in seiner eigenen Familie wiederholen. Peter fühlt sehr viel Verantwortung für seine Familie, ist ein sehr korrekter Mensch und möchte immer alles unter Kontrolle haben.
In seiner eigenen Biografie ist von Bedeutung, dass sich seine eigene Mutter, die unter Depressionen und Alkoholkrankheit litt, das Leben nahm, als Peter 10 Jahre alt war und seine jüngere Schwester 6. Die Mutter wollte beide Kinder mit in den Tod nehmen, was aber nicht gelang, da Peter dies erkannte und sich und seine Schwester retten konnte. Danach kamen die Kinder zum Vater (beide Eltern trennten sich 1 Jahr vorher) und hatten noch eine gute Kindheit.
Dieses Ereignis und die damit verbundenen Ängste kamen durch den aktuellen Auslöser erneut zum Vorschein und führten zur Symptomatik.
Als Anliegen für die Aufstellung gab Peter an, besser verstehen zu wollen, was in seiner Mutter vor sich ging und als Ziel, gelassener leben zu können.
Zunächst stellten wir die Herkunftsfamilie (Vater, Mutter, drei Kinder) auf, in der sogleich auffiel, dass die Mutter hilflos wirkte und Angst um ihre Kinder hatte, während der Vater zwar stolz war, aber nicht wusste, wie er seiner Frau helfen konnte. Den Kindern ging es allen irgendwie schlecht, die älteste Schwester wollte am liebsten weg.
In einem nächsten Schritt ließen wir die Kinder „kleiner“ werden, aber das änderte nichts an dem großen Abstand der Eltern und ihrer Hilflosigkeit.
Da die Mutter „das Problem“ zu sein schien, stellte ich als nächstes ihre Eltern hinter sie. Der Großvater war liebevoll und positiv gestimmt seiner Tochter gegenüber, die Großmutter ebenso, aber auch diese hatte große Angst um ihre Tochter. Sie wusste, dass etwas mit ihr nicht stimmt, konnte ihr aber scheinbar nicht helfen: „Da ist irgendetwas Schlimmes mit ihr, aber sie sagt nichts!“ Und tatsächlich konnte die Tochter nicht benennen, was mit ihr los war und ihre Eltern waren auch keine wirkliche Hilfe.
Da wir nun aus der Familienvorgeschichte wussten, dass die Mutter von Peter im Krieg in einem Lazarett helfen musste und dort wohl schlimme Dinge erlebt haben musste, stellte ich als Nächstes den Krieg auf. Dieser war wie meist bedrohlich und Peters Mutter (ich nenne sie mal Gisela) fing sofort zu zittern an! Ihr wurde auch übel und sie schien immer unsicherer zu werden. Als Ich dann auch noch einen Franzosen aufstellte (Besatzungsmacht), wollte sich dieser an Gisela vergreifen und sie dekompensierte fast. (Wahrscheinlich wurde Peters Mutter in den Kriegsunruhen auch vergewaltigt und hatte mehrere Traumata erlebt, über die sie nie sprechen konnte und hinwegkam.
Zum Schutz von Gisela, zog ich eine Grenze zu dem Franzosen und wir „beendeten“ den Krieg, was zu einer deutlichen Entlastung bei ihr führte. Weil ich aber nicht Giselas Trauma lösen wollte, sondern das von Peter, „gingen“ wir wieder ein Stück weit in die Zukunft und sahen, wie sich Gisela und Peters Vater kennen lernten (wohl auch aus der Not heraus) und versuchten, eine normale Familie zu sein. Dies schien auch mit kleinen Kindern noch zu funktionieren, den Aufgaben als Mutter und Ehefrau war Gisela aber später nicht mehr gewachsen. So begann sie zu trinken und die Depression war ein Heilungsversuch der erlebten Traumata. Als schließlich Giselas Mann nicht mehr konnte, verließ er seine Frau und 1 Jahr nach der Trennung nahm das Schicksal dann seinen unheilvollen Verlauf. Gisela konnte sich nur durch den Suizid „retten“ und wollte ihre Kinder aus Angst und aus Liebe mitnehmen!
Nun stellten wir die Szene der Beerdigung von Peters Mutter dar, der während der Aufstellung sehr betroffen wirkte und die beiden kleineren Kinder konnten sich von ihrer Mutter verabschieden, was im wirklichen Leben nicht erlaubt wurde. Peter konnte auch seiner Mutter Fragen stellen und sie mit seinen Gefühlen konfrontieren, was sehr heilsam und bewegend für alle war. Schließlich lag Peter in den Armen seiner jetzt gesunden Mutter und erlebte noch ein wenig echte Mutterliebe. (Dieser Moment war der Wichtigste in dieser Aufstellung).
Am Ende dieser Aufstellung war Peter zwar sehr erschöpft und betroffen, aber auch dankbar, da er erkannte, warum seine Mutter so handelte und dass sie ihn im Grunde liebte und auch eine sehr liebenswerte Frau war.
Wir als Gruppe machten diesen Prozess ebenso durch: war zunächst große Betroffenheit und auch Wut auf die Mutter im Vordergrund, so wandelte sich diese dann zu Verständnis, Mit-Gefühl und Trauer und endete schließlich in Erleichterung und Liebe.
Die Erkenntnis „der Krieg frisst seine Kinder“ blieb zum Schluß, aber auch die heilsame Erfahrung, dass Liebe und Vergebung alle Wunden heilen kann. Möglicherweise kann Peter nun mehr Vertrauen entwickeln und seinen Kontrollzwang etwas lösen…