Sind wir Männer das Problem?
Sind wir Männer wirklich das Problem? So könnte man angesichts des Zustandes unseres von Männern dominierten und zerstörten Planeten fragen und leider, liebe Freunde und Geschlechtsgenossen, fällt die Antwort zu unseren ungunsten aus.
„Ich denke, das Problem in dieser Welt sind Männer. Männer, die keine Vorbilder mehr sind, keine Väter, keine Helden, keine liebevollen Beschützer und großen Kämpfer.
Der Grund dafür ist, dass sie selbst keine Vorbilder und Väter mehr hatten, oft noch von diesen verletzt wurden und nun alleine zu Recht kommen mussten.“Nick Vujcic in einem Video Spot
„Ein Mann muss auf die Suche gehen, um das heilige Feuer zu entdecken.
Im Heiligtum seines Bauches.
Um die Flamme in seinem Herzen zu entzünden.
Um die Glut im heimischen Herd zum Lodern zu bringen.
Um seine Begeisterung für die Erde neu zu entfachen.“Sam Keen, „Feuer im Bauch“
Das Vorhaben im Herzen eines Mannes ist wie ein tiefes Wasser.
Aber ein kluger Mann kann es schöpfen.Sprüche 20,5 (Die Bibel)
Warum ein Kapitel über Männer? Es ist doch schon so viel geschrieben, gesungen und diskutiert worden, was einen Mann zum Mann macht. Und dennoch hat sich nicht viel verändert und der Mann von heute braucht umso mehr Anweisung, Halt und Orientierung.
In einer Diskussion mit meiner Schwägerin meinte sie vor kurzem: „Es wird Zeit, dass sich die Männer endlich emanzipieren!“- und damit meinte sie nicht, die starke Seite herauszukehren.
Neulich erzählte mir eine junge Klientin aus ihrer Kindheit, wie ihr Papa sich die ersten 5 Jahre ihres Lebens jeden Tag als allererstes eine volle Stunde Zeit für sie nahm und wie sehr sie dies genoss. Doch dann kam der Hausbau, ein zweites Kind und vieles andere, was wichtiger war und sie verlor ihren Paps. Seither hat sie ihn nie wieder gefunden.
Eine 72-jährige Frau hat verzweifelt das Grab ihres im Krieg vermissten Vaters gesucht und schließlich gefunden – in der jetzigen Ukraine! Ihr sehnlichster Wunsch ist es, dort hin zu gehen und ihrem geliebten Vater nahe zu sein.
Andere Klienten berichten mir von Vätern, die den Namen ihrer Kinder nicht einmal kennen, die zu Hause liegen bleiben, da ja nur eine Tochter zur Welt kam, die sie täglich kränken, schlagen oder gar emotional oder sexuell missbrauchen.
Sehr bewegt hat mich das Schicksal meines guten Freundes Michael Stahl, der von seinem alkoholkranken Vater zum 7. Geburtstag angespuckt wurde mit der Aussage: „reicht dir das als Geschenk?“
Wir Männer und Väter können so viel zerstören und Wunden bei unseren Lieben reißen, die nie mehr verheilen, wenn wir uns nicht um unsere eigenen Wunden kümmern.
Michael ist ein sehr gutes Beispiel hierfür: da er nicht so werden wollte wie sein Vater, arbeitete er sehr viel und ließ dadurch seine Frau und seinen Sohn erneut im Stich, was nicht nur zur Scheidung geführt hatte, sondern auch zum Beinahe-Suizid seines Sohnes. Doch mit Gottes Hilfe und der Kraft der Vergebung konnten alle diese Wunden heilen und heute ist Michael für viele ein Vorbild als Mann und Vater und sieht seine Berufung darin, Familien zu helfen und Männerbeziehungen zu heilen. Doch hierzu war auch notwendig, dass er sich seiner eigenen Vaterwunde stellte und diese heilte, davon soll dieses Kapitel handeln.
Die Familie ist unser Hort und Schutz, dort bauen wir unsere Identität, unser Urvertrauen, unser Selbstbewusstsein. Und wir Männer sind dafür verantwortlich! Lasst uns diese Verantwortung wieder sehen und versuchen, echte Männer und Väter zu werden.
In dem Bestseller „Der ungezähmte Mann“ und der Fortsetzung „Der Weg des ungezähmten Mannes“ beschreibt John Eldregde sehr gut, was einen Mann antreibt:
- dass er eine Schlacht siegreich schlägt
- dass er ein Abenteuer besteht und
- dass er eine Prinzessin erobert
Diese Sehnsüchte wurden uns von unseren Schöpfer in unser männliches Herz gegeben.
Die Lebensstationen eines Mannes sind nach Eldregde und anderen Autoren sowie psychologischen Beobachtungen:
- der geliebte Sohn
- der Abenteurer
- der Kämpfer
- der Liebende
- der König
- der Weise
Diese Archetypen, sprich Modelle eines idealtypischen Stadiums und Zustandes, sind meiner Ansicht nach sehr nachvollziehbar und ansprechend und erklären uns viele der vorliegenden Probleme in unserer Gesellschaft:
- Wie viele Jungs werden denn heute noch bedingungslos geliebt und anerkannt? Sind doch die Väter selbst überfordert und in den Alltagspflichten vollständig vereinnahmt.
- Wo finden denn heute noch echte Abenteuer statt, meist doch nur in einer virtuellen Welt?
- Wer lernt unseren Jugendlichen und jungen Männern den guten Kampf des Lebens und des Glaubens?
- Von wem können die Männer lernen, ihr liebevolles und gütiges, beschützendes Herz für die Frauen, Kinder und Schwachen zu entdecken?
- Wo ist ein König Arthur, der den Prinzen die Würde und vor allem Verantwortung eines Königs lehrt? – und schließlich:
- Wo sind die Weisen in unserer Gesellschaft, Politik und Kultur, auf deren gütiges und mahnendes Wort die Jungen hören würden?
Angesichts dieser ganzen Misere und auch meines eigenen Versagens in fast jeder dieser Phasen blutet mir das Herz und bleibt vor Scham und Trauer fast stehen.
Was kann MAN(N) also tun?
Das wichtigste, liebe Männer, ist glaube ich, nicht aufzugeben und zu resignieren, nicht die Hoffnung und die Sehnsucht zu verlieren, nicht für immer zu weinen oder ein Söldner zu werden, dem es egal ist, für wen oder was er kämpft – sondern:
das Abenteuer Mann sein erneut in Angriff zu nehmen, Ängste und Selbstzweifel loszulassen, Hass und Zorn abzulegen und nach innen zu horchen, was uns unser Männerherz mitteilen möchte, wie stark und weich es doch sein kann und leidenschaftlich für eine gute Sache brennen.
Und lasst uns von unseren Vätern und Vorfahren, Vorbildern auch das Scheitern und Wieder aufstehen, das Siegen in der Niederlage, das Kämpfen im passiven Widerstand, das Beschützen und Bewahren des Schwachen und das Sterben für das Leben wieder lernen.
Eines meiner großen Vorbilder ist Nick Vujcic, der Mann, welcher ohne Arme und Beine geboren wurde, als Kind und Jugendlicher am liebsten sterben wollte und keine Zukunft in seinem Leben sah, ja auch Gott anklagte, warum er ihm dieses Schicksal zumutete. Bis er eines Tages erkannte, dass er trotz seines Schicksals etwas besonderes war und Gott zutraute, sehr wohl mit ihm einen Plan zu haben.
Heute ist er ein weltweit gefragter Redner und Motivator für Menschen, verheiratet mit einer bildhübschen Frau und Vater eines kleinen Sohnes und nach eigenen Angaben überaus glücklich und dankbar für sein Leben.
In einem seiner Vorträge sagte er:
„Ich glaubte, ich würde nie ein Mädchen, eine Frau bekommen mit meinem Körper, mit meinen Möglichkeiten. Ich kann ja nicht einmal ihre Hand halten. Doch dann sagte ich mir, aber ich kann ihr Herz halten, wenn es darauf ankommt.“
Ein weiteres Vorbild und Lehrer für mich ist mein Freund Michael Stahl, Fachlehrer für Selbstverteidigung und Gewaltprävention, Buchautor und Motivator, Gewinner des Werte Awards 2009. Trotz einer gewalttätigen, vernachlässigenden, traumatisierenden Kindheit ist er heute ein sehr gütiger, liebevoller und helfender Mensch, der mit seiner Arbeit schon vielen Menschen buchstäblich das Leben gerettet hat und unzähligen Familien wieder zur Einheit verholfen hat.
„Kürzlich bekam ich eine SMS von ihm mit dem Inhalt: „heute kommen noch zwei Familien zu mir, deren beide Söhne nicht mehr leben wollen. Wer möchte kann für diese Familien und mich beten, dass ich die richtigen Worte finde, Danke.“
Und dabei ist Michael kein Therapeut, Seelsorger oder Sozialpädagoge, und dennoch kommen die Menschen zu ihm, um Hilfe zu erhalten. Keiner wird von ihm weg geschickt!
Und dann war da noch Michael, den ich nach einem Vortrag kennen lernen durfte und der seine bewegende Geschichte erzählte. Wie er als erfolgreicher Manager nur arbeitete, seine Ehe ständigen Konflikten ausgesetzt war, einer seiner Söhne große Not in der Schule litt (es wurde eine Form von Autismus festgestellt) und gemobbt wurde, bis er schließlich seinen Vater bat, sich das Leben nehmen zu dürfen. Einige Zeit später wurde dies dann zur traurigen Wirklichkeit. Michael brach dies das Herz, aber auch er lernte, seinem Sohn, den Tätern, seiner Frau und sich selbst zu vergeben und lebt heute ein anderes Leben:
„Ich arbeite heute nicht mehr so viel, versuche anderen Ehen zu helfen, das Leben bewusster zu leben und bin auf dem Weg zum ungezähmten Mann.“
Man muss kein Nelson Mandela oder Marthin Luther King sein, um diese Welt zu verändern, nein, es gibt die vielen kleinen und großen Helden des Alltags und du bist einer davon!
Ich habe bewusst Menschen wie du und ich gewählt, die auch in ihrem Leben scheiterten, denn darin können wir sehen, dass uns gerade das Scheitern und Lernen daraus nach vorne bringt, dass in jedem von uns enorme Kräfte und Talente schlummern und jeder Mann seine spezielle Berufung hat.
Gott selbst hat diesen Ruf in unser Leben und unser Herz gelegt. Den Ruf als Mann und Vater, als Liebender und Kämpfer, als König und Weisen. Die Bibel liefert uns viele Vorbilder, auch von Angsthasen und Zweiflern, Nörglern und Angebern, Frauenhelden und Mördern, die aber schließlich durch die Begegnung mit IHM selbst zu ihrer wahren Identität fanden und schließlich gesegnete und segnende Männer und Väter wurden.
Jesus selbst verkörpert in sich und in seiner Lebensgeschichte ebenso die beschriebenen Archetypen eines Mannes:
Als Kind war er unendlich geliebt und beschützt, als Abenteurer entdeckte er die Welt und suchte schon seine spätere Berufung. Mit ca. 30 begann sein öffentliches Wirken, wo er auch gegen das Unrecht und für die Armen und Verfolgten kämpfte. Kein Mensch hat wohl je auf Erden so sehr die Liebe verkörpert und gelehrt wie Jesus selbst, auch die Liebe und Achtung zu den Frauen. In seiner Identität als König konnte er auch ein Diener sein und seinen Jüngern die Füße waschen und in seiner Weisheit blieb er auch demütig unter Gottes Willen und konnte die Wahrheit hinter allen Lügen der Menschen erkennen.
Die Wunde im Herzen des Mannes
Jeder Mann trägt eine Wunde in sich, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht und diese Wunde wurde ihm von seinem Vater geschlagen.
Das liegt einfach daran, dass es keinen perfekten und vollkommenen Vater gibt und ein Vater, mag er auch noch so liebevoll und fürsorglich sein nicht ausreicht, einem Mann all das zu vermitteln und zu lehren, was er später für sein Leben braucht.
Ich selbst hatte beispielsweise einen solch fürsorglichen und liebevollen Vater, dem die Familie das wichtigste war und dennoch vermisste ich einzigartige, einmalige Zeit mit meinem Paps und wünschte mir manchmal mehr Männlichkeit, Initiation und Abenteuer. Das habe ich meinem Vater innerlich oft vorgeworfen, bis ich erkannt habe, dass er selbst seinen Vater vermisste, der im zweiten Weltkrieg geblieben war.
Dennoch begleitete mich diese Wunde bis hinein in meine 40iger Jahre und auch heute stelle ich mir manchmal die Frage, ob ich meinem Sohn alles beibringen kann, was er für sein Leben braucht, ob ich ihm ein guter Vater sein kann.
Die wichtigste Frage eines Mannes
Diese Frage lautet: habe ich es drauf, bin ich ein ganzer Kerl, bist du stolz auf mich, bin ich ein wilder Kerl, ein Held?
Und diese Frage kann nur einer beantworten: der Vater. Bleibt diese Frage unbeantwortet oder negativ, so resultiert daraus eine tiefe wunde im Herzen eines Mannes und entweder entwickelt sich dieser zu einem Ja-Sager und versucht durch Weichheit und Folgsamkeit doch noch die Liebe des Vaters zu erreichen; oder er wird ein Rebell, ein Macho, der seinen Vater und alle anderen Autoritäten unbewusst oder offen bekämpft.
Beide Rollen führen ihn weg von seinem wahren Wesen und fügen ihm und anderen noch weitere Wunden zu.
Wir sehen das in unseren Familien, in denen die Männer und Väter nicht nur emotional oder körperlich abwesend sind, sondern oft auch manipulierend, schwach oder aber tyrannisch, hart und verletzend.
Ein verletzter Mann, der seine Wunde nicht geheilt hat, verletzt weiterhin sich oder andere.
Das ist die traurige Wahrheit und meine tagtägliche Erfahrung als Therapeut. Doch wie können wir unsere Wunden heilen und unseren Schmerz loslassen, wie den starken und liebenden Mann in uns entdecken und der Behüter und Bewahrer, Beschützer und Held unserer Frauen und Kinder werden?
Dies ist leider kein einfacher und schneller Weg, er führt auch oft über das Scheitern, innere Krisen, und die Akzeptanz der eigenen Ohnmacht zum Ziel.
Ich denke, fast jeder weise und große Mann in der Geschichte der Menschheit hat auch diese Untiefen des Lebens erlebt und ging daraus mit Gottes Hilfe wie Phönix aus der Asche hervor. Um uns auf diesen Weg zu begleiten, brauchen wir Männer vor allem andere Männer, Lehrer und Weise, Könige und Helden, die an uns glauben, denen wir nachfolgen können und die uns auch lieben und akzeptieren, wenn wir scheitern.
Und nicht zuletzt brauchen wir den Vater, Lehrer, Helden, König und Weisen schlechthin, der uns als sein Ebenbild geschaffen hat, Gott selbst.
Er allein kann uns zeigen, wer wir sind und wohin unser Weg führt, er allein kann unsere tiefsten Wunden heilen und unsere Sehnsüchte stillen und er kann uns die notwendigen Grenzen und Erfahrungen schenken, die wir brauchen, um nicht stolz und überheblich, machtbesessen und egoistisch zu werden.
Lieber Mann, mein wichtigster Rat für dich ist:
suche dir einen Gefährten, einen wahren Freund und Begleiter, der dich auf deiner Reise begleitet, dir mit Rat und Tat zur Seite steht, dich auch kritisiert, wenn du es benötigst und dir ohne zu fragen hilft, wenn du in der Scheiße steckst.
Suche dir gute Vorbilder, im Glauben und im Leben, lebende und schon verstorbene, von denen du lernen kannst, dass Mann sein auch weich sein, scheitern, weinen und wehklagen heißen kann, dass fallen erlaubt ist, aber wieder aufstehen lebensnotwendig.
Suche die Verbindung zu deinem Schöpfer oder deiner Quelle, wie immer du sie verstehst, und lass dich von dort bedingungslos lieben und anerkennen, auch zurecht weisen, wenn du es brauchst und lerne von Gott, wer du in seinen Augen bist und wohin deine Reise gehen soll!
Dr. med. Klaus Hettmer (Auszug aus meinem Buch – „Was die Seele wirklich heilt“)