Facharzt für Psychotherapeutische Medizin

Wie kann uns Spiritualität in der Psychotherapie helfen? (Teil 3)

Seeadler

Foto: Michael Rosskothen – Fotolia

Denken Sie noch mal an die Geschichte des „Hühneradlers“, die ich im Anschluss an Teil 2 empfohlen habe:

Jeder der diese Geschichte liest, neigt wohl dazu, dieses Tier, ob dessen verlorener Berufung, zu bemitleiden. Hierin finden wir also die Erklärung, warum so viele Menschen ihre wahre Größe und Identität nicht finden. Vorbei an ihren Berufungen, vegetieren sie einfach nur so dahin. Frei nach dem Motto, lieber ein schlechtes Huhn als ein verletzter Adler.

Doch nur ein verletzter Adler ist schwach und hilfsbedürftig. Ein gesunder Adler in Freiheit, ist wohl eines der schönsten und beeindruckendsten Geschöpfe, die es gibt.

Sind wir Menschen denn weniger schön und beeindruckend?

Können wir unser verletztes, inneres Kind je heilen?

Was meinte Jesus wohl damit, als er sagte, „wer nicht wird wie eines dieser Kinder, kann das Himmelreich nicht erleben“?

In meiner täglichen Arbeit stelle ich immer wieder fest, wie stark und tiefgehend die Wunden aus unserer Kindheit doch in unsere Seele geschlagen sind. Hierdurch erkenne ich, weshalb sich Menschen so schwer tun, die daraus erlernten Abwehr- und Verhaltensmuster zu verändern. Es ist, als ob hier, in den Gedanken der Menschen, virtuelle Gefängnisse entstanden sind. Menschen fällt es schwer zu erkennen, dass die Türen ihrer Gedankengefängnisse in Wahrheit gar nicht verschlossen sind.

Doch genau hier liegt der Weg zur Heilung, nicht nur zur Linderung der Symptome. Heilung geschieht, wenn sie durch die unverschlossenen Türen hindurchtreten und diese virtuellen Gefängnisse hinter sich lassen. Dazu müssen sie nicht nur durch die aktuellen Ängste gehen, sondern auch durch die früheren Kindheitsängste. Dann erfolgt Heilung aus ganzheitlicher Sicht, im vollständigen Wesen aus Körper, Seele und Geist.

Aus meiner Erfahrung gibt es drei bedeutsame Heilungswege. Wenn wahre Veränderung geschehen soll, müssen alle diese drei Wege beschritten werden. Erst dann können die Krankheiten, wie sie auch immer heißen mögen, geheilt werden. Entstanden sind diese ja entweder aufgrund einer nicht gelebten göttlichen Ordnung, oder mangels einer Zusammenarbeit von inneren und äußeren Systemen.

Der erste Weg besteht in der Heilung des Selbst durch Selbstliebe.

Dieser Weg besteht aus der täglichen Entscheidung, sich selbst ganz und gar anzunehmen. Aus dieser wiederkehrenden Entscheidung, besser Lebenshaltung, kann die innere Erfahrung entstehen, wirklich und bedingungslos geliebt zu sein!

Dies geschieht am Besten auf folgende Weise:

  • das eigene, innere und verletzliche Wesen (das sog. innere Kind) anzunehmen.
  • diesem „Kind“ zu erlauben, dass es sein darf, wie es ist. So wie es liebevolle Eltern tun hätten sollen.
  • dem eigenen, inneren Wesen endlich all das zu geben, was  es damals gebraucht hätte und auch heute noch benötigt.

Der zweite Weg ist die Heilung von und durch Beziehungen.

Wir Menschen sind soziale Wesen und Beziehungswesen. Ohne die anderen können wir weder überleben noch glücklich werden.

So wie Menschen krank werden durch verletzende und vernachlässigende Beziehungen, so können sie auch wieder gesund werden und Vertrauen gewinnen, wenn neue, ehrliche und liebevolle Erfahrungen in Beziehungen gemacht und verinnerlicht werden. Schon Michael Balint wusste um die „Droge“ Arzt, die wichtiger ist, als die verabreichte Medizin. Ebenso ist es unabdingbar notwendig, alle früheren und jetzigen Beziehungen zu heilen, sprich in Liebe zu lösen. Hier ist Vergebung ein wichtiger Schlüssel.

Der dritte und meiner Meinung nach bedeutsamste Weg,

zu einer wirklichen Heilung ist der sogenannte spirituelle Weg, wie auch immer wir diesen definieren mögen und wo immer auch jeder seine Suche danach beginnen mag. Man kann ihn auch als Weg des Glaubens bezeichnen, eines Glaubens, dass es hinter allem, was unser Leben und unsere Erfahrungen ausmacht, eine ordnende und liebevolle „Kraft“ gibt. Hier verlassen wir die Ebene der Sinne, Gefühle und des Verstandes und wechseln auf die höhere Ebene unseres Geistes.

Eine innere Ahnung und die Sehnsucht nach Erfahrungen über die Grenzen des Vorstellbaren und unseres Lebens hinaus, ist jedem von uns, von der Wiege an, ins Herz gelegt worden. Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens damit in Berührung kommen, spätestens in Krisenzeiten. Wir ahnen und wünschen uns eine Bedeutung über dieses Leben hinaus. Ebenso, wie wir tief im Inneren wissen, dass alle Menschen gleich wertvoll sind, und ein Recht haben, zu leben und frei zu sein.

Ich möchte Sie noch zu ein paar Gedankengängen einladen, die Ihnen sicherlich nicht fremd sind:

  • Was macht denn das Leben für einen Sinn, wenn ich für keinen Menschen von Bedeutung bin?
  • Wozu bin ich denn überhaupt da, außer das Leben zu genießen und so und so viel äußere Güter anzuhäufen, die ich sowieso wieder verlieren werde?
  • Welche Bedeutung hat mein Leben, wenn sich nach meinem Tod niemand mehr an mich erinnert?
  • Und wozu strenge ich mich überhaupt an, wenn sowieso bald alles vorbei ist?

Keine Angst, das sind keine Gedanken eines lebensüberdrüssigen Psychotherapeuten. Vielmehr sind es Fragen, die Sie sich in der einen oder anderen Form sicher auch schon einmal oder sogar des öfteren in Ihrem Leben gestellt haben.

Sie brauchen nur an ihre Kinder oder Eltern zu denken. Denken Sie an die Liebe zu Ihnen, auch über den Tod hinaus. Dann können Sie selbst ein paar Antworten darauf finden!

Doch zurück zu unseren Geschichten:

Erinnern sie sich noch an die Geschichte der halben Kreise und die abschließende Frage, „wie gelangt man zu solch einer Erkenntnisfähigkeit?“.

Die Frage war nicht, wie werde ich ein ganzer Kreis – dazu müssten wohl unendlich viele Bedingungen erfüllt werden, die wiederum sehr spezifisch sind. Nein, die Lösung liegt im Erkennen der Wahrheit!!!

Sie und ich, wir sind bereits so ein „ganzer Kreis“, so wie wir sind. Und so wurden wir auch schon geboren. Nur haben wir dies aus zwei Gründen vergessen:

Der erste Grund liegt in den vielen Verletzungen und Verbiegungen während unserer langen Kinderstube. Der zweite Grund ist, dass wir vergessen haben, dass wir in Wahrheit geistliche Wesen sind. Hinzu kommt, dass wir uns um Wachstum und Erkenntnis in dieser Richtung kaum mehr bemühen, im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen.

Erst wenn wir beginnen zu glauben, dass wir geistliche Wesen sind, gewinnen wir in unserem Geist einen Zugang zum Schöpfergeist. Dann wissen wir, wie wertvoll wir sind und auch der Andere neben uns. In unserem Geist wissen wir auch, dass ein Kind Liebe und Freiheit braucht, nichts Anderes.

Aus der Verbindung zum Schöpfergeist erkennen wir, wie Vergebung möglich wird und andere scheinbar unmögliche Dinge. Hier erkennen wir die Ordnungen des Universums und unserer Kleinfamilien. Und mit diesem Zugang bekommen wir auch die Kraft, diese Erkenntnisse umzusetzen, auch wenn unser Körper oder unsere Seele anderer Meinung sein mögen. In der göttlichen Ordnung kommt zuerst der Geist, dann die Seele und zuletzt der Körper.

In dieser Ordnung, und nur hier, finden wir einen Zugang zu wahren Beziehungen, zu wahrem Glück, zu echter Freiheit und der wirklichen, göttlichen Liebe. Diese ist bedingungslos und will in uns allen, also in jedem Einzelnen von uns, tief in unseren Herzen entdeckt werden.

Ihnen allen, liebe Leser, wünsche ich, dass Sie diesen Weg beginnen mögen und die richtigen Lehrer und Weisen auf Ihrem Wege treffen mögen, die Ihnen diese Wahrheiten liebevoll erklären und auch vorleben können.

Um diesen Weg gehen zu können und trotz vieler Gefahren und Hindernisse nicht aufzugeben, braucht es neben guten Weggefährten, die Pflege der inneren Sehnsucht in unserem Herzen nach einer besseren Welt und unserer eigentlichen Bestimmung darin.

Die folgende Geschichte eines Seelöwen, dem das Meer abhanden kam, erzählt ein bisschen davon und so möchte ich Ihnen diese zum Abschluss ans Herz legen.

Mögen Sie gesegnet sein.

Ihr Dr. Hettmer

Link:  zur Reise zum Mittelpunkt der Sehnsucht