Wie kann uns Spiritualität in der Psychotherapie helfen? (Teil 3)
Mit der allseits bekannten Geschichte des Hühneradlers, den wir aufgrund seiner verlorenen Berufung so bemitleiden, haben wir nun also die Erklärung, warum so viele Menschen ihre wahre Größe und Identität nicht finden und an ihren Berufungen vorbei, einfach nur so dahin vegetieren, frei nach dem Motto, lieber ein schlechtes Huhn als ein verletzter Adler.
Doch ist nur ein verletzter Adler schwach und hilfsbedürftig. Ein gesunder Adler in seiner Freiheit, ist wohl eines der schönsten und beeindruckendsten Geschöpfe, die es gibt.
Sind wir Menschen weniger?
Können wir unser verletztes, inneres Kind niemals heilen und dann zusammen mit dem liebevollen Erwachsenen in uns ein perfektes Team bilden?
Was meinte Jesus nur damit, als er sagte, „wer nicht wird wie eines dieser Kinder, kann das Himmelreich nicht erleben“?
In meiner täglichen Arbeit stelle ich immer wieder fest, wie stark und tiefgehend die Wunden der Kindheit in unserer Seele geschlagen sind und wie schwer sich Menschen tun, die daraus gelernten Abwehr- und Verhaltensmuster sowie Gedankengebäude zu verändern. Doch genau dies ist der Weg, nicht nur zur Linderung der Symptome, sondern zu einer Heilung aus ganzheitlicher Sicht, im Hinblick des Menschen als Wesen aus Körper, Seele und Geist.
Aus meiner Sicht gibt es drei bedeutsame Heilungswege, die alle beschritten werden müssen, wenn wahre Veränderung geschehen soll und die Krankheiten heilen sollen. Wie diese auch heißen mögen und welche ja meist entstanden sind auf Grund einer nicht gelebten Ordnung und Zusammenarbeit von inneren oder äußeren Systemen:
– Der erste Weg ist der Weg der Heilung des Selbst durch Selbstliebe, welche nicht nur aus einer täglichen Entscheidung besteht, sich ganz und gar anzunehmen, sondern auch aus einem inneren Wissen, wirklich und bedingungslos geliebt zu sein! Dies geschieht am Besten unter der Vorstellung, das eigene, innere und verletzliche Wesen anzunehmen, wie es liebevolle Eltern tun hätten sollen und diesem Kind zu erlauben, zu sein, so wie es ist und ihm endlich all das zu geben, was es damals gebraucht hätte und auch heute noch benötigt.
– Der zweite Weg ist die Heilung durch Beziehungen. Wir Menschen sind soziale Wesen und Beziehungswesen und können ohne die anderen nicht überleben und glücklich werden. So wie Menschen krank werden durch verletzende und vernachlässigende Beziehungen, so können sie wieder gesund werden und Vertrauen gewinnen, wenn neue, ehrliche und liebevolle Beziehungserfahrungen gemacht und verinnerlicht werden. Schon Michael Balint wusste um die „Droge“ Arzt, die wichtiger ist, als die verabreichte Medizin.
– Der dritte und meiner Meinung nach bedeutsamste Weg zu einer wirklichen Heilung ist der sogenannte spirituelle Weg, wie auch immer wir ihn definieren wollen und wo jeder seine Suche danach auch beginnen mag. Diese innere Ahnung und Erfahrung über die Grenze des Vorstellbaren und unseres Lebens hinaus, ist jedem von uns von der Wiege an ins Herz gelegt worden und jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens, spätestens in Krisenzeiten, damit in Kontakt kommen. Wir ahnen und wünschen uns eine Bedeutung über dieses Leben hinaus, ebenso wie wir tief im Inneren wissen, dass alle Menschen gleich wertvoll sind und ein Recht, zu leben und frei zu sein, haben.
Dazu möchte ich Sie noch zu ein paar Gedankengängen einladen:
Was macht denn das Leben für einen Sinn, wenn ich für keinen Menschen von Bedeutung bin?
Wozu bin ich denn überhaupt da, außer das Leben zu genießen und so und so viel äußere Güter anzuhäufen, die ich sowieso wieder verlieren werde?
Welche Bedeutung hat mein Leben, wenn sich nach meinem Tod niemand mehr an mich erinnert?
Und wozu strenge ich mich überhaupt an, wenn sowieso bald alles vorbei ist?
Keine Angst, das sind keine Gedanken eines selbstmordgefährdeten Psychotherapeuten, sondern sicherlich Fragen, die Sie sich auch schon einmal oder des öfteren in Ihrem Leben gestellt haben.
Und sie brauchen nur an ihre Kinder oder Eltern und die Liebe zu diesen, auch über den Tod hinaus, zu denken, um ein paar Antworten darauf zu finden!
Doch zurück zu unseren Geschichten:
Erinnern sie sich noch an die Geschichte der halben Kreise und die abschließende Frage, „wie gelangt man zu solch einer Erkenntnisfähigkeit?“.
Die Frage war nicht, wie werde ich ein ganzer Kreis – dazu müssten wohl unendlich viele Bedingungen erfüllt werden, die wiederum sehr spezifisch sind. Nein, die Lösung liegt im Erkennen der Wahrheit!!!
Sie und ich, wir sind bereits so ein ganzer Kreis, so wie wir sind und so wurden wir auch schon geboren, nur haben wir es aus zwei Gründen vergessen.
Der erste Grund liegt in den vielen Verletzungen und Verbiegungen während unserer langen Kinderstube, der zweite Grund ist, dass wir vergessen haben, dass wir in Wahrheit geistliche Wesen sind und uns um ein Wachstum und eine Erkenntnis in dieser Richtung kaum mehr bemühen, im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen.
In unserem Geist, der auch Zugang zum Schöpfergeist hat, wissen wir, wie wertvoll wir sind und auch der andere. Hier wissen wir, dass ein Kind Liebe und Freiheit braucht und nichts anderes. Hier wissen wir, wie Vergebung möglich wird und andere scheinbar unmögliche Dinge. Hier kennen wir die Ordnungen des Universums und unserer Kleinfamilien. Und mit diesem Zugang haben wir auch die Kraft, diese umzusetzen, auch wenn unser Körper oder unsere Seele anderer Meinung sind.
Hier und nur hier finden wir einen Zugang zu wahren Beziehungen, zu wahrem Glück, zu echter Freiheit und der wirklichen, göttlichen Liebe, die bedingungslos ist und in uns allen, in jedem Einzelnen, tief in unseren Herzen entdeckt werden will.
Ich wünsche Ihnen allen, liebe Leser, dass sie diesen Weg beginnen mögen und die richtigen Lehrer und Weisen auf dem Wege treffen mögen, die Ihnen diese Wahrheiten liebevoll erklären können.
Um diesen Weg gehen zu können und trotz vieler Gefahren und Hindernisse nicht aufzugeben, braucht es neben guten Weggefährten die Pflege der inneren Sehnsucht in unserem Herzen nach einer besseren Welt und unserer eigentlichen Bestimmung darin.
Die abschließende Geschichte eines Seelöwen, dem das Meer abhanden kam, erzählt ein bisschen davon und möchte ich Ihnen zum Abschluss dieser kleinen Serie ans Herz legen.
Mögen Sie gesegnet sein.
Ihr Dr. Hettmer