Wie kann uns Spiritualität in der Psychotherapie helfen?
(eine persönliche Studie und Gedankenanregungen von Dr. Klaus Hettmer)
1. Teil:
Als ich in diesem Jahr zur Weiterbildung bei den Lindauer Psychotherapiewochen war, fiel mir in vielen Gesprächen und bei vielen Buchtiteln auf, wie sehr diese beiden Gebiete immer mehr zusammenfinden und wohl nicht zu trennen sind.
So entdeckte ich in dem Buch C.G.Jungs „Schriften zu Spiritualität und Transzendenz“ einige interessante Aussagen dieses großen Lehrers der Psychologie und Psychotherapie wie z.B. jene:
„ Die entscheidende Frage für den Menschen ist: Bist du auf Unendliches bezogen? Das ist das Kriterium seines Lebens. “
„Das Problem der Heilung ist ein religiöses Problem. “ (aus den Briefen C.G.Jungs)
Im Bereich der Psychologie und Psychotherapie fand und findet immer noch ein Paradigmenwechsel statt, eine Trendwende, in der solch transpersonale und „geistige“ Fragen immer mehr Raum und Bedeutung erlangen. Nicht zuletzt entwickelte sich ausgehend davon in Amerika sogar eine eigene Wissenschaft und Therapierichtung, die „Transpersonale Psychologie“, die versucht, die Probleme und Krankheiten der Menschen ganzheitlich unter Einbeziehung solcher wichtiger Fragen zu verstehen.
Dabei geht es um die so wichtigen Grundfragen des Lebens überhaupt und des individuellen Menschen wie:„ Woher kommen wir und wohin gehen wir? “ „ Was ist der Sinn des Ganzen? “
„ Gibt es eine Bedeutung, einen Auftrag in meinem jetzigen Leben? “ „ Wer oder was sind wir Menschen in diesem Kosmos? “
Die Wissenschaftler aller Richtungen und besonders Astrophysiker und Quantenphysiker suchen ja schon lange nach dem Ursprung und Sinn des Lebens, im Makrokosmos und auch unter dem Elektronenmikroskop. Was ist das kleinste Teilchen, von dem alles ausging, aus dem alles entstand? Was ist der Atem des Lebens?
Doch finden sie jemals mit dem Verstand allein die Antworten? Ich weiß es nicht.
Während eines gemütlichen Essens zu Hause unter Freunden meines 9-jährigen Sohnes, kam urplötzlich die Frage unter den Kindern auf: weshalb bist du wohl da? – und mein Sohn antwortete ganz spontan und in kindlichem Frohsinn: „weil meine Eltern mich wollten und der liebe Gott!“ Basta!
So einfach, oder? Man muss nur mit dem Verstand eines Kindes denken lernen und den Augen des Herzens.
Der Mathematik-Professor John Lennox („Hat die Wissenschaft Gott begraben?“) versuchte mit Hilfe seiner naturwissenschaftlichen und vernünftigen Theorien Gemeinsamkeiten zwischen den Theorien und Beweisen der Wissenschaften und den Ideen und Vorstellungen der Gläubigen zu finden und entdeckte viele davon!
Scheinbar findet die moderne Forschung immer mehr Erklärungen für sog. übernatürliche Phänomene, Geist- und Spontanheilungen und letztlich erklärte uns ja schon die Quantenphysik und Einstein’sehe Relativitätstheorie, dass der Ursprung von allem eigentlich geistiger Art ist und die Materie, die wir sind und sehen, nicht die einzige und wahre Wirklichkeit!
Aber wer soll das verstehen und was fangen wir mit diesen Erkenntnissen an?
Liebe kann man nicht messen, Trauer und Wut nicht aufhalten, Sehnsucht nicht erklären, Angst ist allgegenwärtig. Sind diese Gefühle und Wahrnehmungen, die uns so sehr steuern und bewegen alles nur „Hirngespinste“, auf dem Boden elektrochemischer Vorgänge und Botenstoffe entstanden? Neuere Forschungen ergeben Hinweise, dass Gefühle unsere Zellen beeinflussen, Gedanken den Körper verändern können, negative Stimmungen uns krank machen können.
Wie John Lennox sagt: der Physiker kann die Zubereitung des Kuchens erklären, der Chemiker die chemischen Vorgänge, der Biologe die Inhaltsstoffe, aber nur die Großmutter weiß, warum sie den Kuchen gebacken hat: aus Liebe!
Tief im Inneren von uns Menschen (manche meinen, es sei im Herzen zu finden), gibt es wohl „etwas“, was die Wahrheiten kennt, Zugang zum allumfassenden Ganzen hat, um die Ordnungen der Liebe weiß, tiefen inneren Frieden kennt und die Illusion der alleinigen Individualität und egoistischen Selbstverwirklichung zu Gunsten einer Ganzheit und Verbundenheit Lügen straft.
Könnte hierin ein Schlüssel zu wahrem Glück, wahrem Frieden und wirklicher Heilung liegen?
Die Religionen im ursprünglichen Sinn und Weisen unserer Vorfahren (es soll auch heute noch welche geben) meinen „Ja“ und erzählen uns eigentlich aus verschiedensten Blickrichtungen immer die gleichen Wahrheiten.
Aber wie sollen wir diese Kraft oder Macht, Instanz in unserem Inneren nennen? Wie können wir einen Zugang dazu finden? Wie kann sie uns bei der Bewältigung persönlicher Krisen und den gewaltigen weltweiten Herausforderungen Helfen?
Die Beantwortung der ersten Frage überlasse ich Ihnen, liebe Leser, zur zweiten möchte ich Ihnen ein paar Gedankenanstöße geben und zunächst einmal eine Geschichte erzählen, die ich des öfteren meinen Klienten erzähle, wenn es um das Problem geht, sich minderwertig und unvollständig zu fühlen und den Wunsch, durch andere Menschen wieder heil zu werden:
Die Geschichte der halben Kreise (von Ralph Valenteano):
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